Was macht eine Stadt in Baden-Württemberg zum geeigneten literarischen Ort? Wo finden Schriftsteller:innen Inspiration und Muse? Wer und was bietet sich für eine gute Geschichte an? Und wo verläuft die Grenze zwischen Realität und Fiktion? Diesen Fragen widmete sich am vergangenen Wochenende (25.06.) das Stuttgarter Schriftstellerhaus. Zehn namhafte Schriftsteller:innen waren eingeladen, um über ihre Schreibprozesse und -ergebnisse im Ländle zu sprechen. Das Stuttgarter Schriftstellerhaus, vertreten durch Geschäftsführerin Astrid Braun, verfolgte ein Ziel bei der Veranstaltung: ein literarisches Netz über Baden-Württemberg zu werfen - kritisch, kreativ und kunstvoll. Eine schriftstellerische Hommage an 70 Jahre Baden-Württemberg.
Stuttgart -
„eine nicht auserzählte Stadt“
Die Aufgabe, ihre Wahlheimat Stuttgart in drei Begriffen zu beschreiben, das fiel den Autor:innen Anna Katharina Hahn und Heinrich Steinfest sichtlich schwer. Darum gebeten hatte sie Wolfgang Tischer, Gründer und Herausgeber des Internetportals literaturcafé.de, der die Auftaktveranstaltung moderierte. Die Schwierigkeit, eine Antwort auf die Frage zu finden, lag zum einen am ambivalenten Verhältnis der Autor:innen zu ihrer Heimatstadt. Zum anderen lag es an der geforderten begrifflichen Komplexitätsreduzierung für jene Stadt, die für Schriftsteller:innen in all ihren Facetten zum Ausgangspunkt literarischer Fiktion geworden ist. Dennoch sind Hahn und Steinfest der gestellten Aufgabe gerne nachgekommen.
Die - auf den Fildern bei Stuttgart aufgewachsene Anna Katharina Hahn kam aus Hamburg und Berlin zurück nach Stuttgart. Der Job ihres Mannes (Jan Bürger) hatte die Familie wieder nach Stuttgart verschlagen. Stuttgart bedeutet für sie „Wut und Ärger“, „Interesse“ und „Dialog“. Zu Stuttgart hat sie ein ambivalentes Verhältnis zwischen Stolz und Skepsis. Begeistern kann sich die Autorin vor allem für das Umland Stuttgarts sowie den schwäbischen Dialekt. So spielen auch einige ihrer Werke in kleinen Ortschaften außerhalb der Landeshauptstadt. Realität und Fiktion gehen hier fließend ineinander über. Zu ihrer Freude kam es sogar dazu, dass ein Politiker für seinen Wahlkampf in einem Gasthaus aus ihrem Roman auftreten wollte. Zu seiner Enttäuschung erfuhr er, dass es das Gasthaus in Wirklichkeit gar nicht gibt. Literatur kann also auch schwäbische Gaststätten Wirklichkeit werden lassen. Für Anna Katharina Hahn hat Stuttgart literarisch viel zu bieten. Wenngleich es keine Metropole ist, ist es eine Welt für sich - ihre Welt, die ihr Muse und Inspiration bedeutet. Im Gegensatz zu Paris oder anderen Metropolen der Welt sei Stuttgart literarisch noch nicht erschöpfend erschlossen. „Stuttgart ist eine nicht auserzählte Stadt“, konstatierte Moderator Wolfgang Tischer. Zum Besten gab Anna Katharina Hahn anschließend Passagen aus dem Familienroman Aus und davon (2020).
Heinrich Steinfest ist Österreicher. Er lebte in Wien und kam einst wegen der Liebe nach Stuttgart. In Stuttgart ist Steinfelds Sohn aufgewachsen. Vor allem durch das Kind erschloss sich ihm die Stadt; er lernte Orte durch Interessen seines Sohnes kennen, je nach Alter des Kindes. Heinrich Steinfest genießt Gespräche mit den Menschen in seinem Umfeld - egal ob Bäcker, Metzger oder Spaziergänger: Er wird gerne angesprochen. Schließlich dienen „Menschen als Basis meiner Fiktion“, sagt er. Und Enten. Die Geschichte vom Enterich mit Schlaganfall gibt er in seiner anschließenden Lesung zum Besten. Es ist eine Binnengeschichte in Der Allesforscher (2014). Erzählt wird hier charmant und humorvoll die Rettung eines Enterichs durch einen Bademeister. Gekonnt porträtierte Heinrich Steinfest auch die Menschen im Mineralbad Berg in Stuttgart, Schauplatz der Entendramas, was die Geschichte ganz nebenbei auch zu einer Art Gesellschaftssatire macht. Steinfests drei Begriffe für Stuttgart: „Bahnhof“, „Weinberg“ und wie sollte es anders sein: „Wasser“.
Insgesamt zehn Autor:innen
Insgesamt sprachen über den gesamten Tag verteilt fünf Autoren-Paare über Baden-Württemberg. Neben Anna Katharina Hahn und Heinrich Steinfest kamen Walle Sayer und Carolin Callies, Lena Gorelik und Iris Wolf, Moritz Heger und Sibylle Knauss sowie Cihan Acar und Joachim Zelter miteinander in sehr lebendige Gespräche über Erfahrungen und Geschichten über ihre realen oder fiktiven Heimatorte sowie ihre jeweilige Art zu arbeiten. Das Publikum hatte die Möglichkeit, Privates und Literarisches zu genießen und den Schriftsteller:innen auf eine ganz besondere Art zu begegnen sowie anhand der vorgestellten Texte und Gespräche eine literarische Landkarte des Landes Baden-Württemberg zu erstellen.