Vor über 40 Jahren reihte sich Cäcilie Kowald mit Hunderttausenden Menschen in die 108 Kilometer lange Menschenkette von Vaihingen bis Neu-Ulm ein. Die damals Zehnjährige war Teil der Großdemonstration gegen die geplante Stationierung von Atomraketen. Losgelassen hat sie das bis heute nicht. Um der Menschenkette ein Denkmal zu setzen, hat sie 2022 ihren gleichnamigen Debütroman veröffentlicht.
Cäcilie Kowald bezeichnet sich als hart verdrahtete Optimistin. „Wie auch nicht, wenn ich auch noch in einer Zeit leben darf, in der ich meinen Job und Partner mir selbst aussuchen kann, wählen gehen darf – und es Penicillin gibt“, lacht Kowald. Ihre Zuversicht, Vielseitigkeit und Lust, Neues auszuprobieren, ziehen sich durch unser Gespräch – und ihr Leben.
Bereits als Kind kann sich die kleine Cäcilie ausprobieren, die schon vor der Schule lesen und schreiben gelernt hat. Sie wächst mit ihren Geschwistern in einem sehr politischen Elternhaus auf. Ihre Eltern, die sich bei einer Hausbesetzung kennenlernten, leben mit ihren Kindern das post-studentische Leben. Kowald schwärmt von ihren Kindheitserinnerungen, die vor allem aus Friedensfesten, sonntags als Familie auf Demos gehen, Feten daheim – und natürlich viel Musik machen – bestehen. „Mit sieben stand ich das erste Mal auf einer Bühne auf einem Friedensfest“, erinnert sich Kowald. Warum sie das noch so genau wisse? „Weil meine Schwester und ich den Text vergessen haben, auf der Bühne in Tränen ausgebrochen sind und uns dann jemand aus dem Publikum als Trost fünf Mark geschenkt hat“, schmunzelt Kowald.
Auf mehreren Standbeinen stehen, um sich in vielen Welten zu bewegen
Die Vielseitigkeit steckt auch beruflich tief in ihr drin: Dank eines Zufalls wählt sie als Leistungskurs fürs Abitur Mathe. Das macht ihr dann so viel Spaß, dass sie Mathematik studiert. Sie bezeichnet das als Neugierausflug. Da sie auch Sprachen liebt, promoviert sie in Germanistik. Nach den ersten drei Berufsjahren merkt sie, dass sie nicht für einen einzigen Vollzeitjob gemacht ist. Seitdem arbeitet sie Teilzeit als Marketing-Beraterin. Dadurch hat sie die Freiheit, auf mehreren Standbeinen zu stehen – und sich in vielen Welten zu bewegen. So spielt sie nebenbei in einem Jazz-Trio und einem Duo Bratsche und schreibt Romane.
Die Freiheit, Beruf und Herzensthemen unabhängig voneinander zu leben
Dieser hohe Stellenwert von Freiheit betrifft auch ihren Aktivismus, das Musik machen sowie ihr Schreiben. Aufgrund ihres Debütromans „Menschenkette“ wird sie oft als aktivistischer wahrgenommen, als sich Kowald selbst sieht. „Das ist für mich ein ständiges Suchen und Hadern“, reflektiert die Karlsruherin laut, „ich wäre gern viel aktiver als ich es bin“. Als sie aber eine Weile als Kulturreferentin für eine Nichtregierungsorganisation gearbeitet hat, merkte sie, dass sie ihre Herzensthemen nicht zum Beruf machen kann und will. „Ich sehe mich eher im kulturellen Schaffen“, ergänzt Kowald, „das gehört ja auch zur Zivilgesellschaft“.
Dass ihr der berufliche Abstand zu Herzensthemen guttut, ahnte Kowald bereits als Grundschülerin. Bereits damals wollte sie Autorin werden, aber auch Lehrerin, um damit genug Geld zu verdienen. Dieses Konzept lebt sie heute, wenn auch in etwas anderer Form. Davon profitieren vor allem ihre Bücher: „Ich empfinde es als volle künstlerische Freiheit, dass ich finanziell nicht vom Bücher schreiben abhängig bin“, meint die Grenzgängerin. „Dadurch habe ich nicht diese Schere im Kopf, was finanziell einträglich ist“.
Ein freies Europa, freie Lebensentscheidungen treffen können und Freiheit allgemein hat für Kowald auch abseits des Schreibens einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig betont sie, wie wichtig es ihr ist, dass die individuelle Freiheit da endet, wo sie die Freiheit eines anderen einschränkt.