In Katrin Zipses Romanen steckt immer auch ein Stück Radio. So arbeitet die badische Hörfunkredakteurin hauptberuflich für ein hörendes Publikum. Die Tonspur, die immer unter der Geschichte liegt, macht ihre Kinder- und Jugendbücher so besonders.
Schon früh wird Katrin Zipse zur Schreiberin: Bereits als Kind spinnt sie mit ihrem Zwillingsbruder Geschichten. Kurz darauf folgen erste Gedichte – zu seltsamen Themen, wie die gebürtige Stuttgarterin heute selbst lachend zugibt. In einem Gedicht kicken beispielsweise Günter Netzer und die damalige deutsche Nationalmannschaft. In ihrer Jugend dann schreibt sie eher traurige Geschichten. Mit dem Studium in Germanistik und Theaterwissenschaft entscheidet sie sich beruflich weiterhin für die Geschichtenwelt, aber aus einer anderen Perspektive. Während sie in Berlin studiert, schreibt sie kaum noch. Kurz überlegt sie in Hildesheim „Kreatives Schreiben“ zu studieren, nachdem die Geschichte, die sie extra für die Bewerbung schreibt, angenommen wird. Aber die Badenserin entscheidet sich gegen das Studium und führt ihr Theaterwissenschaftsstudium fort.
Danach schreibt Zipse dann doch wieder – allerdings fürs Radio. Dafür kehrt sie nach Baden-Württemberg zurück und lässt sich beim SWR anstellen. Die folgenden Jahre erzählt sie als Hörspieldramaturgin Geschichten für ein auditives Publikum. Dadurch verändert sich ihr Schreiben: „Durch die vielen Jahre beim Radio, denke ich akustisch“, reflektiert Zipse, „während die meisten Autorinnen und Autoren eher auf das Sehen eingestellt sind.“
Tonspur im Kopf
Dieses akustische Erzählen liest man in ihrem preisgekrönten Jugendromandebüt „Glücksdrachenzeit“ heraus. Die Protagonistin Nellie hält mit ihrem Soundrekorder Momente fest – beziehungsweise deren Klänge. „Bei mir läuft immer eine Tonspur im Kopf mit“, führt Zipse aus. Doch warum schreibt die Dramaturgin ihren ersten Roman für ein jugendliches Publikum? Zipse verrät, dass das vor allem daran liege, dass ihre Kinder damals selbst in dem Alter der Protagonistin waren. Zudem hätte sie davor mit der halben Stelle beim SWR und den Kindern einfach keine Zeit für längere Schreib-Projekte gehabt. Als sie jedoch das, mit einer Stunde recht lange, Kinder-Hörspiel „Mamas Mord“ schreibt, findet sie den Mut und die Inspiration zum Romane schreiben. Sie beginnt mit dem Schreiben von „Glücksdrachenzeit“ und reist für eine Recherche- und Schreibreise an den Hauptspielort Avignon. „Die Autoroute du Soleil könnte ich blind fahren, da ich als Kind jedes Jahr mindestens zweimal in Frankreich war“, lächelt Zipse, „und es ist die perfekte Stadt, um die Geschichte spielen zu lassen…“.
Humorvoll und traurig zugleich, aber ohne Jugendsprache
Ein Jahr später erscheint bereits ihr zweiter Jugendroman „Die Quersumme von Liebe“, der ähnlich wie „Glücksdrachenzeit“ auch sehr ernste Themen thematisiert. Zipse erzählt mit ihrer warmen Stimme, dass sie das Gefühl hat, dass Jugendliche die Fragen und Probleme, die hinter der Handlung stehen, mögen. Wie ist es für ein Kind, wenn die Familie sich auflöst? Da docken viele an – Jugendliche wie Erwachsene. Bei einer Gartenlesung mit einem erwachsenen Publikum beobachtet die Schriftstellerin, dass diese sich danach philosophische Fragen stellten: Welche Erinnerungen sind meine eigenen? Welche wurden mir von anderen erzählt oder sogar implantiert?
Daraufhin schreibt die Autorin für ein jüngeres Publikum. In drei erschienenen Kinderbüchern rettet Antonia die Welt und appelliert daran, sich um Tiere zu kümmern oder Menschen, denen es nicht so gut geht. Ähnlich wie in ihrer Jugend fällt es Zipse immer wieder schwer, nicht zu traurig zu schreiben. Derzeit sitzt sie in den Endzügen eines Kinderbuches, in dem ein Hund stirbt. Eine große Hilfe war ihr 30-jähriger Sohn, der es testgelesen hat und meinte, dass kein Kind ein so trauriges Buch lesen wolle. „Jetzt bin ich fast fertig und habe es überraschenderweise geschafft, ein Buch über einen toten Hund zu schreiben, das lustig ist“, berichtet Zipse stolz.
Eine andere Herausforderung sei gerade bei Kinder- und Jugendbüchern der Stil. „An der Stelle hat mir meine mittlerweile auch sehr erwachsene Tochter als Testleserin sehr geholfen“, gibt die Schriftstellerin preis, „sie hat mir zum Beispiel Jugendsprache komplett rausgestrichen“. Dabei sei es gar nicht so leicht, eine Sprache zu finden, die praktisch Synonyme für Jugendsprache findet. Auch heute noch ist sie immer die erste Testleserin. „Ich hoffe, sie ist immer ehrlich“, lacht Zipse.
Die Freiheit, nicht vom Romane schreiben leben zu müssen
Schnell merkt Zipse, dass sie am liebsten freie Romane schreibt. Dabei schätzt sie ihr Privileg von ihrer halben Stelle als Redakteurin leben zu können sehr wert: „Freiheit bedeutet für mich Unabhängigkeit“, so Zipse. Und das umfasst auch die Unabhängigkeit vom Buchmarkt, dass sie eben nicht davon leben muss, Bücher zu veröffentlichen. So entwickele sich der Buchmarkt immer mehr Richtung New Romance. Das weiß Zipse besonders genau, da sie aktuell in der Literaturabteilung beim Radio arbeitet und Lesungen organisiert. Jede Buchneuerscheinung landet bei ihr auf dem Tisch. Das erzeugt manchmal auch Druck und zeigt ihr, wie schwer es ist sich im Buchmarkt zu behaupten. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich fast zu viel Literatur im Leben habe“, lacht Zipse. Dabei legt sie viel Wert darauf, die Rollen als Redakteurin und Autorin strikt zu trennen. „Wer Teilzeit arbeitet, weiß, dass man den restlichen halben Tag mit Zähnen und Klauen verteidigen muss“, stellt Zipse fest. Die Überstunden, die sich ansammeln, wandelt sie in Schreibphasen um.
Geschichtenfrei hat sie vor allem beim Sport, aber auch bei langen Spaziergängen mit dem Hund oder stundenlangem im Garten werkeln. Ein Notizbuch hat sie trotzdem meistens dabei: Wenn ihr eine Idee kommt, hält sie beim Radeln gern kurz an, um sie schnell festzuhalten.
Lesenachschub, der nach Island führt
Derzeit sucht sie nach einem Verlag für ihren ersten Roman für Erwachsene, an dem sie fünf Jahre mit viel Leidenschaft gearbeitet hat. Für diesen hat sie sehr bildlich mit vielen Naturbeschreibungen geschrieben, die auf ihren vier Recherche-Reisen nach Island entstanden sind. „Dort hat man wirklich das Gefühl, man ist am Ende der Welt“, erinnert sich Zipse, „die Kargheit ist durch die Vulkane, dem Meer und dem speziellen Wetter sehr intensiv“. Die Idee zu der Geschichte kam ihr 2015, als viele Geflüchtete in Deutschland ankamen und sie Deutschunterricht gegeben hat. „Ich habe mir oft gedacht, wie schwierig es sein muss nach traumatischen Erlebnissen, eine neue Sprache zu lernen und in einer fremden Gesellschaft anzukommen“, meint Zipse nachdenklich. Für sie scheint es, als ob dieser kulturelle Sprung und die großen Herausforderungen von vielen Menschen in Deutschland nicht ganz begriffen wurden. Aus diesem Grund thematisiert sie die Auswanderinnenbewegung von deutschen Frauen nach Island, die 1949 stattgefunden hat. In Island fehlte es an Frauen, in Deutschland gab es dagegen nach dem Zweiten Weltkrieg einen Überschuss an jungen Frauen ohne Perspektive. Auch im Roman steht das Sprachenlernen im Vordergrund. Wie lerne ich Sprachen? Kann ich überhaupt eine Sprache lernen, wenn ich traumatisiert bin?
Die Schriftstellerin hofft, dass der Roman bald in der Welt ist. Bodenständig wie sie ist, formuliert Zipse: „Und wenn es nur ein paar Leute lesen. Das ist für mich Freiheit, dass ich fünf Jahre an einem Buch schreiben kann und trotzdem nicht verhungere.“